Darüber hinaus wurde sich auf der Konferenz mit effektiven Unterstützungsmöglichkeiten für Geflüchtete vulnerabler Gruppen auseinandergesetzt und in den Vordergrund gerückt. Ziel dieser Veranstaltung war es „gemeinsam eine weibliche Stimme“ zu schaffen, Nachhaltigkeit zu kreieren und mit kommunalen Vertreter*innen, zivilgesellschaftlichen Akteur*innen und den tatkräftigen Ehrenamtlichen in den Dialog zu treten.
Die Konferenz brachte über 80 Teilnehmenden zusammen und ermöglichte unterschiedliche „Stimmen“ und Expertisen zu sprechen. Darüber hinaus engagierten sich fünf ehrenamtliche Helfer*innen sowohl bei der Vorbereitung als auch bei der Nachbereitung der Konferenz. Zum Schluss der Veranstaltung wurden die ehrenamtlichen Unterstützer*innen des Projekts von der Netzwerkbegleitung Herrn Dr. Andrés Otalvaro (NeMO) und der lokalen Projektkoordinatorin Luna Mokrys für ihr Engagement mit einer Urkundenübergabe gewürdigt.
Die Konferenz begann mit eröffnenden Worten des Moderators Ercan Carikci sowie einer Rede von Nadia Kurtul als MiSO Vorstandsmitglied. In ihrer Rede betonte sie die Wichtigkeit, besonders schutzbedürftige geflüchtete Frauen zu unterstützen, zu stärken, zu empowern. Außerdem hebt sie hervor, dass die Sensibilisierung eine große Rolle spielt. „Frauen müssen wissen, welche Rechte sie haben. Frauen müssen aufgeklärt werden. Frauen müssen gestärkt werden.“ (so Nadia Kurtul).
Eine besonders große Ehre war auch die Anwesenheit des Oberbürgermeisters Belit Onay. Von Seitens des OBs wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es die Realität sei, dass zurzeit rund 90% aller 10.000 ukrainische Geflüchtete hier in Hannover auf dem Messegelände Frauen mit ihren Kindern sind. Hierdurch steht die Stadtgesellschaft vor vielfältigen Herausforderungen und Problemen. Die Frauen tragen „seelisches Gepäck“ mit sich. Sie haben die Verantwortung für ihre Kinder, haben ihr Zuhause verlassen müssen und versuchen sich zeitweise oder auch langfristig, zum Teil derart traumatisiert, ein neues Leben aufzubauen. Ferner wird von Belit Onay appelliert, dass es „Gift“ für die Stadtgesellschaft sei, wenn Rassismus, Feindseligkeit gegen bestimmte Gruppen - vermeintlich marginalisierte Gruppen - so artikuliert wird. Es wird unterstrichen, dass nicht weggeschaut werden darf, dass es Empowerment geben muss und ein „klares Stop“ von allen Seiten geben muss!
Im Anschluss wurde von der lokalen Projektkoordinatorin, Luna Mokrys, das Projekt vorgestellt, die Ziele und die Entwicklung des Projekts dargestellt sowie Eindrücke in die derzeitige Arbeit gegeben. Hier wurden nicht nur die vielen bereits bestehenden Angebote und Maßnahmen hervorgehoben, sondern dringende Bedarfe formuliert. Außerdem wurde noch einmal verdeutlicht, dass die Unterstützung von Geflüchteten in, durch und mit migrantischen Organisationen stattfindet. Hierbei werden migrantische Organisationen als unerlässliche Brückenbauer in die neue Lebenswirklichkeit mehr und mehr wahrgenommen. Zur Unterstützung von vulnerabler Geflüchtete kristallisierte sich heraus, dass die Kooperation mit anderen Organisationen, Vereinen Aktivist*innengruppen, Beratungsstellen etc. einen essentiellen Beitrag darstellt.
„Körper die sprechen“. Dies beschrieb den künstlerischen Programmpunkt der Konferenz. Auf der einen Seite stellte Fairouz Qasrawi (palästina spricht – Gruppe von Aktivist*innen) das Projekt „48 stitches“ vor, welches mit der Fotografin Tabea Kerschbaumer in Kooperation auf die Beine gestellt worden ist. In der Räumlichkeit der VHS gab es eine Fotoausstellung. Auf den Bildern waren die Palästinenserinnen mit den traditionellen Kleidern zu sehen, sowohl dazu auch jeweils ihre Geschichte. Zuallererst wurde zur Transparenzschaffung die Geschichte Palästinas erläutert. Vor allem stellt sie in den Fokus, dass die Vereinten Nationen bereits 1948 von Israel das Rückkehrrecht palästinensischer Flüchtlinge oder die Entschädigung für enteignetes Eigentum forderten. Die UN-Forderung bleibt bis heute unerfüllt. Heute leben mehr als sechs Millionen Palästinenser*innen in der Diaspora. Viele davon, ohne die Hoffnung jemals auch nur einen Fuß in ihr Heimatland setzen zu können. Das Ziel des Projekts ist es die palästinensische Kultur und die Traditionen aufnehmen und zu verbildlichen, vor allem im Kontext der Vertreibungs- und Fluchtgeschichte der Palästinenser*innen nach der Nakba und nach dem Krieg im Jahr 1967. Es sollen die modernen Palästinenserinnen der 2/3 Generation im Exil mit kultureller Kleidung vor Hintergründen aus ihrer aktuellen Lebenssituation gezeigt werden. Auf der anderen Seite bereicherte Matti Linke mit gleich zwei Textvorträgen inmitten eines Poetry Slams die Veranstaltung (Textvortrag als PDF angehangen). Metaphorisch, rührend und nahezu perfekt blättert er die vielen Herausforderungen, Probleme und Ängste der Frauen auf.
„[…] Sieht man die Not gezielt von Frauen, und die Gewalt, die sie erfahren,
all die Ungerechtigkeiten, die sie jeden Tag ertragen?
Ob in dem Land, das sie verließen, auf dem Weg, den sie beschreiten,
in der Zeit in der sie ankommen, in dem Land, in dem sie bleiben?
Sieht man vulnerable Gruppen, wie Probleme sich verdichten,
wie die Not sich je nach Lebenslage unterteilt in Schichten?
All das Individuelle, in den vielen Einzelfällen, wie ein Mensch am Rand der Bühne, den die Spotlights nicht erhellen,
und der gerade deshalb nicht gesehen wird, der aus dem Raster fällt. […]“
Eine weitere Referentin, Shahla Wahab, erzählte ihre eigene Geschichte, wie sie vor 33 Jahren nach Deutschland kam und inwiefern sie sich in Form ihres Ehrenamts im Projekt GLEICH teilhaben engagiert. Sie beschreibt, dass sie gerne neu angekommenen geflüchteten Menschen hilft, weil sie im Jahr 1991 selbst erlebt hat, wie schwer es ist neu in einem Land anzukommen. Einem Land indem man „fremd“ ist, die Sprache nicht kennt und viele Ängste in sich trägt sowie psychische und körperliche Erschöpfung verspürt. Die ehrenamtliche Unterstützerin erzählt davon, welche Tätigkeiten sie im Ehrenamt übernimmt. All das sind Aufgaben und Unterstützungsmöglichkeiten die sie sich vor vielen Jahren erwünscht hat zu bekommen. Dazu gehören bspw. die Begleitung bei gesundheitlichen Terminen, Behördengänge sowie Hilfestellung bei formell-bürokratischen Angelegenheiten.
Darüber hinaus gab es einen Vortrag von Dr. Maria Tsenekidou. Sie ist Sozialwissenschaftlerin mit dem Schwerpunkt Politische Psychologie und arbeitet für MiSO am Welthaus-Projekt. In ihrem Vortrag erörtert sie die Problematik der Frage „woher kommst du?“ und inwiefern Rassismus und Sexismus an dieser Stelle verwurzelt sind. Zudem teilt die Referentin ihre eigene Geschichte und zeigt somit nicht nur der Gesellschaft einen Spiegel vor, sondern verbildlicht somit auch die Realität vieler Frauen, die nicht nur unter Rassismus, ob er vermeintlich „positiv“ sein soll oder nicht, sondern auch Sexismus tagtäglich leiden müssen und welche Rolle Männlichkeit als Machtinstrument hier eine Bedeutung spielt.
Im letzten Programmpunkt „Zuhören als Katalysator zur Bewusstseinsschaffung“ sprachen zwei Referentinnen, um aufzuzeigen wie bedeutend es ist Zuzuhören. Im Zuhören liege nämlich die Basis für viele Faktoren, wie die Herstellung von Empathie, Perspektivwechsel oder Strukturen, die tatsächlich den Bedürfnissen und Bedarfe der Menschen entsprechen. Adriana Pombo, Büroleitung MiSO Netzwerk Hannover e.V. und Anthropologin, und Adelaide Catalano, rassismuskritische Empowerment Trainerin und Sozialarbeiterin erheben hier nicht nur ihre eigene Stimme und berichten bspw. von Realitäten als Frauen mit Migrationsgeschichte oder auch Gewaltgeschichte, sondern wollen die Unsichtbarkeit von Frauen aufbrechen. Ferner wurden Fragen wie „was ist meine Identität?“ und „In welcher Gesellschaft wollen wir Leben?“ besprochen, mit denen sich auch gemeinsam mit den Teilnehmenden der Konferenz auseinandergesetzt worden ist. So kam es zu einem dynamischen Miteinander der Menschen im Raum und es trauten sich nach und nach Stimmen zu sprechen. Der Raum wurde zu einem empowernden und stärkenden Raum, indem versucht wurde Sichtbarkeiten zu konstruieren und Bedarfe offenkundig darzulegen.
Schlussfolgerung: Die Konferenz brachte verschiedene Interessengruppen zusammen, um sich mit den Herausforderungen auseinanderzusetzen, mit denen Geflüchtete, vor allem alleinerziehende und alleinerziehende Frauen, konfrontiert sind. Sie bot eine Plattform für den Austausch von Erfahrungen und Praxisbeispielen und sensibilisierte die Teilnehmer*innen für die Probleme vulnerabler Geflüchteter. Die Konferenz bot wertvolle Möglichkeiten für Vernetzung und Zusammenarbeit, während Ideen, persönliche Erfahrungsberichte und Praxisbeispiele ausgetauscht wurden. Die Hoffnung besteht darin, dass diese und andere Dialogkonferenzen die Unterstützung für vulnerable Geflüchtete stärkt und zu einer inklusiveren, mitfühlenderen und transparenteren Gesellschaft beiträgt.
Luna Mokrys (lokale Projektkoordinatorin)
Matti Linke_Kleider machen Leute.pdf
Poetic-Recording Dialogkonferenz 08.09.23.pdf
Kurzfilm zur lokalen Dialogkonferenz:
(Martin Tönnies – Welt in Hannover, kargah e.V.)
Fotos: Kaisar Ahamed
Bei Fragen, Anregungen oder Ideen und Wünsche zur Kooperation inmitten des Projekts GLEICH teilhaben: luna.mokrys@miso-netzwerk.de
Mengendamm 12 (4. OG)
30177 Hannover