Drastische Kürzungen gefährden das Zusammenleben in unserer Stadt. Der MiSO-Mitgliedsverein kargah hat eine Stellungnahme bezüglich der geplanten Kürzungen der Deutschland-Koalition verfasst.
Ist das Ihr Ernst?
So möchte man sich und die verantwortlichen Politiker*innen fragen, wenn man die aktuellen Kürzungspläne der so genannten Deutschland-Koalition aus dem Bereich „Einwanderungsstadt Hannover“ sieht: mehr als 150.000 € von gut 211.000 € bisheriger Förderung, also fast drei Viertel, sollen in den 4 Projekten Beratung und Begleitung von Flüchtlingen, Niedrigschwellige Beratung von Menschen ohne Papiere, Dolmetscherdienste für gemeinnützige Einrichtungen außerhalb der Stadtverwaltung und der Förderung des mehrsprachigen Webportals welt-in-hannover.de gekürzt werden. Hinzu kommt die bereits letzte Woche bekannt gewordene komplette Streichung unserer Mittel im Bereich Kultur von knapp 53.000 €. Bei keinem anderen freien Träger sind Kürzungen in diesem Umfang geplant. Haben wir mit der regierenden Koalition nicht über die Inhalte unserer Projekte und ihre Wichtigkeit gesprochen? Doch, das haben wir, und in allen Gesprächen wurde uns zugesichert, die Parteien wüssten von der hohen Qualität unserer Arbeit und seien inhaltlich vollkommen mit uns einig. Nur an einem der vier Projekte wurden überhaupt Zweifel geäußert. Die Kürzungsabsichten haben wir dem städtischen Sitzungsmanagement entnommen, vorgewarnt wurden wir nicht.
Nun sollen wir also unsere Beratungsprojekte für Menschen mit und ohne Papiere zusammenlegen und mit knapp einem Drittel der Gelder weiterführen. Die Dolmetschdienste für gemeinnützige Einrichtungen außerhalb der Stadtverwaltung sollen mit gut einem Drittel des bisher bewilligten Geldes durchgeführt werden, da, so die Begründung, KI und Übersetzungsassistenten doch einen Großteil des bisherigen Bedarfs obsolet machten. Das mehrsprachige Webportal Welt in Hannover, das neu in Hannover angekommenen Menschen eine Orientierungshilfe zu Beratungs-, aber auch Kultur- und Freizeitangeboten bietet, wird darauf verwiesen, sich durch Werbung oder zahlungspflichtige Angebote zu finanzieren.
Zu all dem ist zu sagen: es wird so nicht funktionieren.
Das Webportal welt-in-hannover.de bündelt die Angebote vor allem gemeinnütziger Organisationen, die kein Geld haben, für die Veröffentlichung ihrer Veranstaltungen und laufenden Angebote, Gebühren zu bezahlen. Hier werden also andere zivilgesellschaftliche Akteure mit geschwächt, für die wir eine Dienstleistung angeboten haben.
Ebenso verhält es sich bei den Dolmetschdiensten, die darauf zielen, uns als mehrsprachige Anlaufstelle für Geflüchtete und Migrant*innen zum Teil überflüssig zu machen, indem andere inhaltlich spezialisierte Beratungsstellen und Einrichtungen, die nicht über mehrsprachiges Personal verfügen, auch neu aus dem Ausland nach Hannover zugezogenen Menschen zugänglich werden. Es geht hier also um Sprach- und Kulturmittlung in hochkomplexen Beratungsbereichen, um Themen wie Bekämpfung von Menschenhandel, Familienberatung, Hilfepläne in der Erziehungsberatung, Teilhabe von Kindern und Erwachsenen mit Beeinträchtigung oder komplizierte medizinische Diagnosen. Wer einmal versucht hat, ein KI-Programm nach der Konnotation bestimmter Begriffe in verschiedenen Sprachen zu fragen oder auch nur sicherzustellen, dass das Gegenüber eine Google-Übersetzung verstanden hat, weiß, dass hier persönliche Sprach- und Kulturmittlung durch spezialisierte Fachkräfte unverzichtbar ist.
Mit der radikalen Beschneidung des Projekts Niedrigschwellige Beratung von Menschen ohne Papiere beraubt sich die Stadt eines Alleinstellungsmerkmals gegenüber anderen Städten, das in der Vergangenheit regelmäßig für Wissenschaft und Akteur*innen aus anderen Städten von großem Interesse war und das die Landeshauptstadt mit dem Lokalen Integrationsplan von 2008 selbst geschaffen und seit langem als einziges Beratungsprojekt für diese Zielgruppe gefördert hat.
Und die gravierende Kürzung des Projekts Beratung und Begleitung von Flüchtlingen gefährdet den Kernbereich unserer Beratungsarbeit insbesondere für in Hannover unterversorgte Zielgruppen wie Menschen im Asylverfahren, mit Duldung und im komplexen Verfahren des Familiennachzugs. Zahlreiche andere Beratungseinrichtungen und nicht zuletzt städtische Behörden und Beratungsstellen verweisen aufgrund unseres Expert*innenstatus für diese Zielgruppe an uns. Jährlich beraten wir im Flüchtlingsbüro insgesamt über 3000 Personen in über 7000 Beratungen. Alle Kolleg*innen arbeiten weit über ihrer Belastungsgrenze. Weitere rund 2000 Beratungen im Jahr können wir bereits jetzt, auch mit ehrenamtlicher Hilfe, nicht übernehmen und haben Schwierigkeiten, die Menschen an geeignete andere Stellen zu vermitteln, wo ihnen geholfen wird.
Wohin sollen wir die Menschen schicken, wenn wir nun 3 Kolleg*innen in Vollzeit entlassen und unsere Kapazitäten in den städtischen Projekten um zwei Drittel kürzen müssen? Ist es verantwortbar, Menschen in prekären Situationen allein zu lassen? Selbst der Präsident des Niedersächsischen Städte- und Gemeindebunds, Marco Trips, mit dem wir sicher in vielen Punkten nicht einer Meinung sind, fordert in der derzeitigen Situation eine Integrations-Offensive und nicht Kürzungen genau in diesem Bereich.
Wie schon im Kulturbereich muss man dabei feststellen, dass die Kürzungspläne Geld von zivilgesellschaftlichen Organisationen zu städtischen Projekten verschieben. Neben uns sollen auch anderen bewährten Projekten, z.B. dem Unterstützerkreis Flüchtlingsunterkünfte, dem Verband binationaler Familien und Partnerschaften und dem Verein Baobab-Zusammensein e.V., Gelder gestrichen werden. Nimmt man andere Bereiche hinzu, sieht man, dass beispielsweise das Marketing des Hannoverschen Schützenfests eine satte Finanzspritze erhalten soll. Ist es also wichtiger, dass mehr Menschen Karussell fahren und Bier trinken als neu zugewanderten Menschen in Hannover Orientierung zu geben und sie gut in unserer Gesellschaft ankommen zu lassen?
Noch ist es nicht zu spät: die Hannoverschen Ratsfraktionen können noch umlenken und ihre Kürzungsabsichten zurücknehmen. Wir werden uns auch dieses Mal nicht in eine Konkurrenz zu anderen zivilgesellschaftlichen Einrichtungen treiben lassen, sondern gemeinsam gegen die Kürzungen protestieren. Gegen die Spaltung unserer Gesellschaft, für ein solidarisches Miteinander.
Kontakt:
Carmen Schaper und Ferdos Mirabadi, Mitglieder der Koordination (Geschäftsführung)
E-Mail:
koordination@kargah.de